Dachreiter St. Petri
2008
Die Idee
Die Proportionen des ehemaligen Dachreiters aufzunehmen ohne ihn historisch nachzubilden - das Thema dieser Arbeit.

Ein städtebauliches Zeichen wird gesetzt an exakt der Stelle, an der es ursprünglich vorhanden war. Die gegenwärtige große, ungegliederte Dachfläche der Kirchenschiffes erhält seine Differenzierung in Auf- und Grundriß zurück.

Dabei ist es uns wichtig, ein Werk zu schaffen, das sich als Bauwerk definiert, d. h. als Architektur und Konstruktion, ebenso wie als Kunstwerk.

Die Faszination der Tensegrity-Konstruktion begründet sich in der Tatsache, dass die Druckstäbe sich nicht berühren. Sie werden vom ersten bis zum letzten Stab nur von Zugseilen gehalten. Ihnen scheint dadurch die Eigenschaft des Schwebens innezuwohnen. Ein kontinuierliches System von Zugelementen steht in Symbiose mit einem diskontinuierlichen Subsystem von Druckelementen. Das klassische Prinzip des „Stein auf Stein“ wird ersetzt durch eine von irdischen Kräften befreite scheinbare Schwerelosigkeit.

Erfinder dieser Konstruktion war der amerikanische Ingenieur-Architekt Buckminster Fuller. Er beschrieb die Konstruktion mit den Worten: Inseln der Verdichtung (Druck) in einem Meer von Weite (Zug).

Unser Dachreiter nimmt dabei den Bezug zu seinem historischen Vorgänger auf ohne ihn direkt abzubilden. Die (Druck)-Stäbe beschreiben in ihrem Grundriß ein Dreieck. Dieses windet sich von Stufe zu Stufe, d. h. gen Himmel und zeichnet dabei ein Achteck nach, das des ehemaligen Dachreiters.

In seinem Aufriß entstünde, würde man die Eckpunkte der Stäbe miteinander verbinden, ebenfalls die Kontur des ehemaligen Dachreiters. Dadurch, dass sich die Stäbe jedoch nicht berühren, entsteht dieses Bild imaginär, d. h. im Kopf des Betrachters.

Die Konstruktion
Der Turm setzt sich aus sog. Twistelementen zusammen, die, abwechselnd links- und rechtsdrehend, in ihrer Höhe von unten nach oben abnehmen. Jedes dieser Elemente besteht aus drei Druckstäben (Edelstahlrohre, von unten nach oben von 273 mm bis 120 mm Durchmesser abnehmend, Stärke von 40 mm bis 12 mm abnehmend) und drei Diagonalseilen (vollverschlossene galfanbeschichtete Seile, VVS3, Durchmesser von 75 mm bis 50 mm abnehmend).

Als Auflager wurden zwei Varianten gewählt
Wünschenswert wäre zunächst, die gesamte Konstruktion könnte in ihrer Reinheit errichtet werden, den Dachraum durchdringen und bis in den Kircheninnenraum hineinwirken. Für diesen Fall würde die Konstruktion scheinbar in den Kirchenraum hineinschweben. Die Lasten der drei untersten Druckstäbe würden durch die Seilkonstruktion, bestehend aus je vier Seilen, abgefangen und in die Kreuzungspunkte der vier Stützenköpfe mit der Kirchschiffdecke eingeleitet. Die vorhandene Deckenkonstruktion wäre durch eine im Dachraum einzubringende Rahmenkonstruktion aus Stahlträgern zu ergänzen.

Alternativ schlagen wir vor, den Turm unterhalb der Dachhaut enden zu lassen. Hierzu würde er auf einer Tischrahmenkonstruktion aufgestellt, die ihrerseits wiederum auf den vier vorgenannten Stützen ruht. Diese Variante sollte aus unserer Sicht nur dann in Betracht gezogen werden, wenn aus denkmalpflegerischen Gründen eine Durchdringung der Decke grundsätzlich abgelehnt würde. Die Außenwirkung des Turmes bliebe dabei erhalten, der Innen-Außen-Bezug würde entfallen.

In beiden Fällen würden am Turm unmittelbar unterhalb des Firstbalkens Zugstäbe angebracht, die eine zusätzliche Abspannung darstellen und die Horizontallasten aufnehmen.

Die Erscheinung bei Nacht
Neben der städtebaulich-typologischen Wirkung der Konstruktion bei Tage ist der Dachreiter gerade auch für die Nachtsilhouette der Altstadt Lübecks von besonderer Bedeutung. Die Druckstäbe werden durch zwei Lichtquellen, die sich an ihren jeweiligen Enden befinden, in der Nacht angestrahlt. Das farbige Licht bildet dabei exakt und ausschließlich die Körper der Druckstäbe ab. Die Wirkung des Mystischen, der Imagination und des Schwebens wird dadurch noch verstärkt.

Im Kircheninnenraum werden über die Stahlrohre der Druckstäbe opake Glasfaserröhren gezogen. Im Zwischenraum zwischen Druckstab und Glasfaserröhre werden wirkungsoptimierte LED-Leuchten angebracht. Sie lassen die Konstruktion als selbstleuchtende Elemente in den Raum hineinschweben und können dadurch auch bei Nacht den Bezug zum Turm als Ganzes herstellen.